Wir wollen hier den "Denker" erläutern:
Geschrieben von Hugo de Saint Victor, Didascalion, um 1128:
Ihr habt den Plato gehört, ihr werdet auch den Chrysippus hören. Im Sprichwort heißt es: „Was du nicht weißt, weiß vielleicht ein Eselein." Niemandem ist es gegeben, alles zu wissen; aber es gibt hinwiederum auch niemanden, dem nicht von Natur aus irgendeine Geistesgabe zuteil geworden wäre. Der verständige Leser hört daher alle gern, liest alles, verachtet kein Schriftwerk, keine Person, keine Lehre. Unterschiedslos such er bei allen das, was ihm, wie er sieht, abgeht, und er betrachtet nicht, wieviel er weiß, sondern wieviel er nicht weiß. Deshalb wird auch jener Ausspruch des Plato angeführt: „Ich will lieber bescheiden von anderen lernen, als unbescheiden anderen mein eigenes Wissen aufdrängen." ...
Wie bei den Tugenden, so gibt es auch bei den Wissenschaften bestimmte Stufen. Aber du sagst mir: Vieles finde ich in den geschichtlichen Büchern, was mir keinen Nutzen zu bringen scheint; warum soll ich mich mit solchem beschäftigen? Gut! Es gibt zwar viele Stellen in der heiligen Schrift, die, für sich allein betrachtet, nichts Begehrenswertes zu enthalten scheinen. Wenn du dieselben aber mit anderen Stellen, mit welchen sie in Verbindung stehen, vergleichst und in ihrem Zusammenhang abzuwägen beginnst, so wirst du einsehen, daß dieselben ebenso notwendig wie angemessen sind. Einige Stellen sind an und für sich wissenswert; wiewohl andere Stellen an und für sich unserer Mühe nicht wert erscheinen, so darf man solche nicht sorglos beiseite liegen lassen, weil ohne sie jene Stellen der ersten Art nicht deutlich verstanden werden können. Lerne alles; später wirst du einsehen, daß nichts überflüssig ist. Beschränktes Wissen bringt keine Freude.
Dieser alte Text beschreibt den Intellektuellen, das anzustrebende Ideal doch ganz gut.
Der gebildete Mensch, der weltoffene Mensch, wie er bemerkenswerter schon Weise im 12. Jahrhundert beschrieben wird, ist der perfekte Denker.